Hier eine deutsche Fassung meines früheren Beitrags über Sörings Aussage bei seinem Prozess. Wurde auf die Schnelle übersetzt, bitte Tippfehler und mangelhafte Grammatik verzeihen/melden!
Wie ich bereits im letzten Beitrag erwähnt habe, plant Jens Söring derzeit eine Medienoffensive, um seine Schuld in Frage zu stellen. Er hat schon mächtige Unterstützer aus der deutschen Medienszene überzeugt und eine nicht unbeträchtliche Summe Geld kassiert. Dies bedeutet, dass wir uns auch 30 Jahre nach seinem Prozess noch immer mit seinen diskreditierten Unschuldsbehauptungen befassen müssen. Es ist wie ‚Täglich grüßt das Murmeltier‘.
Aber irgendjemand muss die augäischen Ställe ausmisten, und diese Person bin ich, denn ich bin nach wie vor der einzige deutschsprachige Journalist, der jemals ernsthafte Zweifel an Sörings Unschuldsbehauptungen öffentlich geäußert hat. (Das wird sich aber bald ändern). Alle anderen haben seine Geschichte unkritisch wiedergegeben, und die Unmengen an Informationen, die seine Glaubwürdigkeit untergraben, einfach vertuscht. Meine Kritik gilt nicht in erster Linie Jens Söring, sondern den vielen Journalisten, die Sörings Lügen unkritisch verbreitet haben, und noch verbreiten werden.
Wenden wir uns nun dem kritischsten Denkfehler in Sörings Unschuldsgeschichte zu. Es gibt viele Lücken in dieser Geschichte, aber ich finde, die folgende ist die größte und schönste. Um das Problem zu verstehen, muss ich leider die amerikanische Gesetzeslage besprechen, aber ich glaube, dass selbst juristische Laien die Argumentation werden folgen können.
Zu Beginn muss gesagt werden, dass ich ein zugelassener Rechtsanwalt bin, aber meine Zulassung ruht zur Zeit, da ich nicht mehr den Beruf aktiv ausübe. Daher ist nichts in diesem Blogbeitrag Rechtsberatung jeglicher Art. Aber ich weiß eine ganze Menge über das amerikanische Strafrecht, also können Sie mir hierzu vertrauen.
Zunächst müssen wir einen strafrechtlichen Grundbegriff diskutieren: die Beihilfe zu einer Straftat (die deutschen Begriffe stimmen nicht mit den amerikanischen überein, aber es gibt keine andere Wahl). Ein Mittäter (in US-amerikanischem Recht) ist jemand, der einem Kriminellen bei der Begehung einer Straftat Beihilfe leistet. Die Person, die das Verbrechen tatsächlich begeht, wird als Haupttäter bezeichnet; die Person, die hilft, ist der Mittäter.
Es gibt zwei verschiedene Arten von Mittätern: Mittäter (bzw. Beihilfe) vor der Tat und Mittäter (bzw. Beihilfe) nach der Tat. Ein Beispiel:
Fall 1: Jack ist mit Jill befreundet. Eines Tages kommt Jill zu Jack und sagt: “Ich habe meinen Mann dabei erwischt, wie er mich mit Sandy betrogen hat. Er ist gerade drüben bei ihr zu Hause. Ich werde rübergehen und sie töten. Kann ich mir Ihre Waffe leihen?” Jack gibt Jill seine Waffe, und Jill geht los und erschießt ihren Mann und Sandy.
Fall 2: Jack ist mit Jill befreundet. Eines Tages kommt Jill zu Jack und sagt: “Ich fand heraus, dass mein Mann mich mit Sandy betrügt. Ich ging zu ihrem Haus, während sie beide dort waren, und erschoss sie beide mit dieser Pistole”. Jill gibt Jack die Waffe. “Können Sie es verschwinden lassen?” Jack nimmt die Waffe und wirft sie in den Fluss.
Fall 1 ist ein Fall von Beihilfe vor der Tat. Jack wusste, dass Jill vorhatte, ein Verbrechen zu begehen, und er half ihr dabei. Er hat an dem Verbrechen selbst nicht teilgenommen, aber er hat dazu beigetragen, dass es geschah. Fall 2 ist ein Fall von Beihilfe nach der Tat. Jack wusste nicht, dass Jill ein Verbrechen begangen hatte, bis sie es ihm sagte. Aber dann half er ihr, die Beweise zu verbergen.
Warum ist dies wichtig? Weil es einen ganz entscheidenden Unterschied zwischen diesen beiden Verbrechen gibt. Beihilfe vor der Tat wird in der Regel viel härter bestraft als Beihilfe nach der Tat. Das macht Sinn: Wenn Ihnen jemand sagt, dass er im Begriff ist, ein Verbrechen zu begehen, und Sie um Ihre Hilfe bittet, sind Sie in der Lage, ihn aufzuhalten. Jack hätte zwei Leben retten können, wenn er die Waffe nicht geliefert oder Jills Pläne verraten hätte. Dagegen ist die Beihilfe nach der Tat moralisch viel weniger schwerwiegend. Im Fall Nr. 2 kann Jack nichts tun, um das Verbrechen zu verhindern, weil es bereits geschehen ist.
Virginia folgt einer traditionellen Regel: Ein Mittäter vor der Tat kann mit genau der gleichen Strafe bestraft werden wie die Person, die das Verbrechen begangen hat. Das Gesetz erkennt keinen moralischen Unterschied zwischen der wissentlichen Hilfe bei der Begehung eines Verbrechens und der eigenen Tat an. In Virginia gibt es eine Ausnahme von dieser Regel: Einer, der vor der Tat Beihilfe zu einem Kapitalverbrechen (nach amerikanischem Recht ein Verbrechen, das mit der Todesstrafe bestraft werden kann) geleistet hat, kann Sie nicht zum Tode verurteilt werden. Das liegt daran, dass nach den Gesetzen Virginias nur Personen, die tatsächlich an der Tötung beteiligt waren, mit dem Tod bestraft werden können. Beihilfe vor der Tat zu einem Kapitalverbrechen wird mit einer bis zu lebenslänglichen Freiheitsstrafe geahndet.
Beihilfe nach der Tat ist viel weniger schwerwiegend, selbst bei einem Kapitalverbrechen. Beihilfe nach der Tat zu einem Kapitalverbrechen ist ein so genanntes Class 6 Felony: “Beihilfe nach der Tat zu einem Kapitalverbrechen ist ein Verbrechen der Klasse 6”. Verbrechen der Klasse 6 werden mit bis fünf Jahren Gefängnis oder bis zu 12 Monaten Gefängnis und einer Geldstrafe von 2.500 Dollar bestraft.
Zusammenfassend kann man also sagen: Hilft einer dem Täter, bevor er ein Kapitalverbrechen begeht, erhält er (bis zu) lebenslänglich. Hilft er dem Täter nach einem Kapitalverbrechen erhält er 6 Monate und eine Geldstrafe (je nachdem).
Jetzt sind wir bereit, das Kernproblem mit Sörings alternativer Geschichte der Tatnacht zu verstehen. Seinen Geständnissen von 1986 zufolge fuhr Söring zu Loose Chippings und tötete die Haysoms, während Elizabeth — die ihrerseits wusste, dass er ihre Eltern konfrontieren und wahrscheinlich töten würde — in Washington, D.C. blieb und den beiden ein Alibi verschaffte, indem sie den Zimmerservice für zwei bestellte, paarweise Kinokarten kaufte usw. Dies ist auch die Version der Ereignisse, die Elisabeth bei ihrem Prozess 1987 unter Eid gestanden hat und für die sie zwei 45-jährige Haftstrafen akzeptierte.
Sörings Aussage bei seinem Prozess 1990 gibt eine ganz andere Version wieder. Demnach fuhr Elizabeth am Nachmittag vor der Tatnacht allein los, um eine Drogenlieferung abzuholen. Dann kehrte sie gegen 2 Uhr morgens zurück mit Blutflecken auf ihren Armen und erzählte Söring, dass sie die eigenen Eltern ermordet hatte. Söring hatte keine Ahnung, dass sie dies vorhatte, und war von diesem Geständnis völlig überrascht. Doch dann half er Elizabeth, das Verbrechen zu vertuschen, und versprach, ggf. es selbst zu gestehen.
Fazit: Wenn die Geschworenen Sörings Prozessaussage von 1990 geglaubt hätten, hätte Elizabeth wegen zweifachen Mordes verurteilt werden sollen, aber Söring nur wegen Beihilfe nach der Tat. Das ist, wie wir gesehen haben, ein Klasse-6-Verbrechen, das eine (vergleichsweise) leichte Strafe nach sich zieht.
Wenn die Geschworenen jedoch Sörings Geständnissen von 1986 geglaubt hätten, hätte Söring wegen zweifachen Mordes (ob in Deutschland, Großbritannien, oder den USA, je nachdem) verurteilt werden sollen. Elizabeth Haysom dagegen hätte eine ggf. lebenslängliche Freiheitsstrafe bekommen sollen, weil sie Beihilfe vor der Tat zu einem Kapitalverbrechen geleistet hat.
Oder graphisch dargestellt:
Söring Gesteht: |
Tatbestand/Strafmaß Söring | Tatbestand/Strafmaß Haysom |
Ich habe die Haysoms getötet & EH wusste davon nichts vorher, half aber danach |
2x Mord / 10 Jahre Jugendstrafe (in Deutschland) |
Beihilfe nach der Tat / 1-5 Jahre Freiheitsstrafe |
Ich habe die Haysoms getötet und EH wusste Bescheid vorher und half mir. | 2x Mord / 10 Jahre Jugendstrafe (in Deutschland) |
Beihilfe vor der Tat / ggf. lebenslänglich |
Söring behauptet, er habe gestanden, Elisabeth zu “beschützen” oder “zu retten”, aber seine Geständnisse hätten sie in Verbrechen verwickelt, die sie lebenslänglich ins Gefängnis bringen könnten. Dies ist dem Staatsanwalt im Prozess nicht entgangen. Hier ein Auszug aus dem Kreuzverhör von Söring (18. Juni 1990):
Q: Wie sieht Ihr Aktionsplan dort aus, Herr Soering?
A: Nun, nach einigem Zögern am Nachmittag beschloss ich, die Polizei zu überzeugen, dass ich dies getan hatte, und ich tat es in diesem Interview nach bestem Wissen und Gewissen.
Q: Warum?
A: Weil ich dachte, das sei die einzige Möglichkeit, Elizabeth vor dem elektrischen Stuhl zu retten.
Q: Der einzige Weg, Elisabeth zu schützen?
A: Das ist richtig.
Q: Wenn Sie Elizabeth schützen wollten, hätten Sie es tun können, nicht wahr?
A: Das habe ich getan.
Q: Alles, was Sie zu sagen hatten, Herr Soering, war, dass ich es war, Elizabeth Haysom hatte nichts damit zu tun, sie wusste nichts davon. Ich habe es getan, sie hat nichts davon gewusst.
A: (Zeuge schüttelt verneinend den Kopf).
Q: Konnten Sie das nicht?
A: Das haben wir nicht gedacht, nein.
Q: Und meine Frage ist, wenn Sie Elizabeth schützen wollten, warum haben Sie es nicht getan?
A: Ich habe es getan. Das habe ich getan, sie kam nicht auf den elektrischen Stuhl…
Q: An diesem Punkt [im Geständnis vom 5. Juni 1986 gegenüber der Londoner Polizei und Ricky Gardner] sprechen Sie davon, dass Elizabeth in Washington blieb und in die Kinos ging, während Sie im Mietwagen zurück nach Lynchburg fuhren.
A: Das ist die einzige Geschichte, die wir für glaubwürdig hielten. Wir hielten es aus offensichtlichen Gründen nicht für glaubwürdig zu sagen, dass Elizabeth völlig unbeteiligt war.
Q: Und darauf bin ich vorhin schon gekommen, dass Ihnen klar war, dass es keine Möglichkeit gab, eine Erklärung abzugeben, dass Sie für die Morde nach Loose Chippings gefahren sind und Elizabeth ohne jegliche Beteiligung in Washington geblieben ist und nichts davon wusste.
A: Richtig.
Q: Denn das würde keinen Sinn machen, oder?
A: Das ist richtig, ja.
Q: Aber Sie, Herr Soering, tun jetzt dasselbe. Sie sagen, dass Elizabeth Haysom nach Loose Chippings gegangen ist und dass Sie in Washington geblieben sind und dass Sie nichts darüber wissen und nichts damit zu tun hatten, so dass Ihre Erklärung keinen Sinn ergibt, korrekt?
A: Das ist nicht wahr, nein.
Q: Es ist das Gleiche, nur mit getauschten Rollen.
A: Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied. Es war für mich damals völlig unfassbar, selbst meinen kühnsten Träumen, dass Elizabeth dahinfahren könnte, um ihre Eltern zu töten — Ich konnte mir das überhaupt nicht vorstellen.
Q: Aber es ist das Gleiche umgekehrt, nur die Namen werden geändert. In Instanz A machte es keinen Sinn, aber Sie sagen, dass es für diese Damen und Herren durchaus Sinn macht, so wie es für Sie gilt, mit Ihnen als Alibi?
A: Ja, und ich werde Ihnen das erklären, wenn Sie es wünschen.
Aber der Staatsanwalt hatte seinen Standpunkt klar gemacht und ging zu anderen Themen über.
Nun, um Söring gegenüber fair zu sein, pflegt er immer zu betonen, dass er Liz vor dem elektrischen Stuhl retten wollte. Er ist ein kluger Mensch, der sich 4 Jahre lang auf seine Aussage vorbereiten durfte. Seine Anwälte sagten ihm, dass ein Mittäter vor der Tat zu einem Kapitalverbrechen nicht zum Tode verurteilt werden kann. Rein technisch gesehen hat Söring also Recht: Sein Geständnis würde Liz “vor dem elektrischen Stuhl” retten, da er sagen würde, dass Elizabeth ihre Eltern nicht persönlich getötet hat.
Aber Sörings Geständnis, in dieser Form, würde Elizabeth zu einer ggf. lebenslänglichen Freiheitsstrafe verdammen! Sörings Geschichte zufolge muss das Gespräch zwischen den beiden ungefähr so verlaufen sein:
Jens: “Ich nehme die Schuld für die Ermordung deiner Eltern auf mich, weil ich dich so sehr liebe. Außerdem habe ich irgendeine Form von diplomatischer Immunität, so dass sie mich nach Deutschland schicken werden, und ich werde dort als Heranwachsender nur 5-10 Jahre im Gefängnis verbringen”.
Elisabeth: “Vielen Dank, Jens. Ich werde zugeben, dass ich dir geholfen habe, die Tat zu vertuschen. Dann bin ich Mittäterin nach der Tat und bekomme vielleicht 2 Jahre Freiheitsstrafe und eine Geldstrafe. Daraufhin werde ich mein Studium wieder aufnehmen, und wir treffen uns in 5-10 Jahren, wenn du aus dem deutschen Gefängnis kommst.”
Jens: “Moment mal. Das geht nicht”.
Elisabeth: “Warum nicht?”
Jens: “Nun, weil die Leute wissen, dass du deine Eltern gehasst hast.”
Elisabeth: “Na, und?”
Jens: “Die Öffentlichkeit wird nicht akzeptieren, dass du nicht an ihrer Ermordung beteiligt waren. Du musst gestehen, dass du von meinen Mordplänen wusstest und mir vor der Tat geholfen hast.”
Elisabeth: “Aber die Polizei wird keine Beweise dafür haben, dass ich vor der Tat Kenntnis hatte — es sei denn, du oder ich verraten es ihnen. Ich kann einfach sagen, dass du die Tat begangen hast, ohne es mir vorher zu sagen, und du kannst meine Aussage bekräftigen. Die Polizei wird schließlich keine Möglichkeit haben, diese Aussage zu widerlegen!”
Jens: “Aber ich werde ihnen sagen, dass du schon vorher von meinem Verbrechen wusstest, Liebling. Ich liebe dich, aber nicht so sehr, dass ich dich nicht lebenslang ins Gefängnis schicken würde”.
Elisabeth: “Bist du sicher, dass ich dich nicht davon überzeugen kann, mich einfach für 2 Jahre ins Gefängnis zu schicken und eine Geldstrafe? Schließlich liegt es ganz in deiner Hand; wenn du mich nicht vorher als Mittäter vor der Tat anzeigst, haben die Bullen nichts in der Hand.”
Jens: “Tut mir Leid, meine Entscheidung steht fest. Ich werde auf meine diplomatische Immunität pochen und als Heranwachsender in Deutschland 5-10 Jahre absitzen. Aber ich fürchte, Schatz, dass du lebenslänglich ins Gefängnis gehen musst”.
Elisabeth: “Aber warte — ich dachte, unsere Pläne wären, dass du als Heranwachsender in Deutschland verurteilt wirst, 5-10 Jahre absitzt, und dann freikommst. Und dann dürfen wir unsere einmalige Liebesbeziehung wieder aufnehmen! Wie bitteschön trägt eine lebenslängliche Freiheitsstrafe für mich dazu bei, dieses Ziel zu erreichen?
Jens: “Du stellst zu viele Fragen.”
Bekommen Sie langsam eine Vorstellung davon, warum die Jury Sörings Aussage nicht glaubwürdig fand?
Offenbar ist ja unstreitig, dass einer der beiden mit „Hotel und Kino“ vor der Tat ein Alibi konstruiert hat, und das müsste, wenn EH Täterin war, JS gewesen sein, und scheinbar hat er das auch nicht abgestritten. Wenn ich Sie richtig verstehe, führt eine solche Hilfestellung vor Tatausführung dazu, dass der accessory wie der principal bestraft wird. Hätte dann nicht JS auch nach seinem eigenen Vorbringen zu Recht gesessen?