Sehr geehrte Redaktion der NZZ,
Am 5.6.2020 veröffentlichte die NZZ einen Beitrag von Hans Ulrich Gumbrecht über Rassismus und Polizeigewalt in den Vereinigten Staaten unter dem Titel: “Wie kann es immer wieder zu Gewalt gegen Afroamerikaner kommen – wenn doch eine Mehrheit solche Akte ablehnt?”
Leider enthält der Artikel zahlreiche Fehler. Gumbrecht schreibt z.B.: “[D]er afroamerikanische Teenager Trayvon Martin [wurde] von einem Polizisten erschossen.” Das stimmt nicht. Martin wurde von George Zimmermann, einem Versicherungsmakler, erschossen.
Auch kritisiert Gumbrecht die Annahme, dass Derek Chauvin, als “ehemaliger Nachtklub-Bouncer schon allein aufgrund seiner vermuteten physischen Stärke und Entschlossenheit positive Voraussetzungen für die Laufbahn eines Polizeibeamten mitbringt.” Zu der Zeit, als George Floyd getötet wurde, hatte Chauvin 19 Jahre lang bei der Polizei von Minneapolis gearbeitet, und war somit der Dienstältester vor Ort. Er arbeitete als Nachtklub-Bouncer lediglich als eine Nebentätigkeit, um damit sein Gehalt als Polizist aufzustocken.
Gumbrecht schreibt über die Ausbildung von Polizisten in den USA: “Für staatsbürgerliche Grundsätze bleibt in der erstaunlich kurzen Ausbildung zum Polizisten offenbar nur wenig Zeit.” Die Ausbildung von amerikanischen Polizisten ist durchaus mit der von z.B. deutschen Polizisten vergleichbar. Deutsche Polizisten müssen in der Regel etwa drei Jahre lang Fächer wie Kriminalitätskontrolle, Kriminologie, Verkehrssicherheitsarbeit, Staatsrecht/Eingriffsrecht, Strafrecht, und Öffentliches Dienstrecht studieren, um sich für eine Stelle bei der Polizei zu qualifizieren. Anschließend müssen sie ein Praktikum absolvieren.
Bewerber bei der Polizei von Minneapolis “müssen mindestens ein Associate’s Degree oder fünf Jahre ununterbrochene Erfahrung bei einer Strafverfolgungsbehörde oder im Militärdienst vorweisen können.” Der einschlägige Associate’s Degree-Studiengang dauert mindestens zwei Jahre, und ist durchaus mit einem Studium an einer deutschen Polizeihochschule vergleichbar. Zum Beispiel umfasst der Criminal Justice Studiengang bei der Minnesota State University Fächer wie Staatslehre, Soziologie, Kriminologie, Entwicklungspsychologie, Bürgerrechte, Ethik, Jugendkriminalität, und “Strafverfolgung in einer vielfältigen Gesellschaft”. Anschließend müssen Bewerber einen 16-wöchigen Kurs bei der Police Academy absolvieren, und eine Probezeit überstehen.
Gumbrecht schreibt auch: “Vergewaltigungen afroamerikanischer Frauen durch weisse Männer ereignen sich mit überproportionaler Häufigkeit.” Das stimmt nicht. Bei 88% von allen Sexualstraftaten in den USA haben sowohl Täter als Opfer derselben Hautfarbe. Eine Studie aus dem Jahr 2008 zu Sexualstraftaten zwischen Menschen verschiedener Rassen stellte fest, dass Sexualstraftaten mit einem schwarzen Täter und einem weißen Opfer das “überwiegende” (predominant) Muster war.
Herr Gumbrecht schreibt auch, dass die “staatlicher Bildungssysteme” der USA “flagrante Schwächen” aufweisen. Laut der 2018 PISA-Studie erhielten Schüler in den USA eine Gesamtnote von 1.485 Punkte. Die Zahlen für Deutschland (1.501); und Frankreich (1.481) waren fast identisch.
Herr Gumbrecht bemerkt: “Gute vierzig Prozent von [amerikanischen Gefängnisinsassen] sind afroamerikanische Männer, deren Anteil an der nationalen Bevölkerung unter sieben Prozent liegt.” Diese Zahlen sind aber an sich kein Indiz für Diskriminierung, weil Gewaltdelikte deutlich überproportional von Schwarzen begangen werden. So stellte eine definitive Studie aus dem Jahr 2011 fest, dass Tötungsdelikte 11,7-mal öfters von Schwarzen als von Weißen begangen wurden. Die Proportion bei Sexualdelikten war 6,35-mal, bei Raubüberfällen sogar 15,25-mal. Über diese Zeitspanne waren 63,67% aller wegen Tötungsdelikten Angeklagten schwarzer Hautfarbe, der Prozentsatz bei Sexualdelikten war 49,12%, bei Raubüberfälle 70,05%. Angesichts dieser Diskrepanzen kann es offensichtlich nicht ohne weiteres angenommen werden, das der Anteil von Schwarzen in amerikanischen Gefängnissen überproportional ist.
Die Debatte über Polizeigewalt und Rassendiskriminierung in den USA ist wichtig und gerechtfertigt. Sie sollte aber auf der Grundlage von verlässlichen Informationen geführt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Andrew Hammel
Düsseldorf, Deutschland